Vater, Sohn und Enkel
Im Rahmen der Aufarbeitung des zweiten Weltkrieges hat sich eine natürliche Verlagerung der Perspektive eingestellt. Nicht mehr die Kinder der Kriegsgeneration arbeiten die Vergangenheit ihrer Eltern auf, jetzt sind es die Enkel, die sich mit den Folgen des Dritten Reichs befassen. Die oftmals (und durchaus zu Recht) vorwurfsvollen Anklagen der 68er Generation sind verschwunden und so erscheinen Arbeiten, die stiller und subtiler daher kommen.
Das Fotobuch »Vater, Sohn und der Krieg« gehört zu der letzten Kategorie. Der Fotograf Tom Licht (Jahrgang 1971) hat mit seinem Vater Wilfried Licht eine insgesamt 8000 km langen Reise zum Sterbeort ihres Großvaters bzw. Vaters Willy unternommen, der am zweiten November 1941 in Ssenjatino, Russland, gefallen war.
Es sind ausgesprochen ruhige Fotografien, die Tom Licht von dieser Reise angefertigt hat. Mit nur ganz wenigen Ausnahme im Querformat, die Kamera immer waagerecht ausgerichtet und auf extreme Brennweiten verzichtend, strahlen die Fotografien in ihrer nie aufdringlich wirkenden Farbigkeit fast eine Art von Lautlosigkeit aus. Landschaften, Stadtansichten, Hotelzimmerszenen und Gedenkstätten wechseln sich als Motive ab, immer seitenfüllend abgedruckt und von Portraitaufnahmen Wilfried Lichts begleitet. Der Abdruck einiger schwarz-weißer Privatfotos, Briefe aus der Hinterlassenschaft Willy Lichts sowie Zitate des Vaters stellen den privaten wie historischen Zusammenhang her.
So entsteht ein Fluss bei Betrachten der Bilder, indem schnell klar wird, dass es bei dieser Fahrt auch um eine Annäherung der beiden Männer, Vater und Sohn geht. Trotzdem vielleicht hätte letzterer gar nicht als Motiv auftauchen sollen? Die Aufnahmen, auf denen er mit seinem Vater zu sehen ist, unterbrechen diese so ausgewogene Abfolge der Bilder – zumal man sich fragen muss, ob ein Selbstauslöser genutzt wurde oder eine dritte Person fotografiert hat.
So sind die stärksten Bilder die des Vaters. Wilfried Licht, eine Metallabsperrung entlang schreitend oder am Seeufer stehend, die Tiefe einer Pfütze messend oder ganz einfach nur durch das hoch gewachsene Wiesengras schreitend. Hier ist eine gewisse Orientierungslosigkeit wiedergegeben worden, eine Orientierungslosigkeit, welche die Nachkriegsgeneration, verursacht durch die Sprachlosigkeit der Eltern, nur allzu gut kennt. Interessant auch, dass Ssenjatino, der eigentliche Ort des Todes, in den Bildlegenden gar nicht auftaucht. Doch was wäre dort zu sehen gewesen? Wohl kaum so spektakuläre Bunkerruinen, wie man sie beispielsweise an der französischen Atlantikküste noch finden kann. Im Buch sehen wir Fotografien von Tundralandschaften, kargen Birkenwäldern, unbefestigten Straßen – man kann die durchfahrene Landschaft durchaus als langweilig bezeichnen. Zwei eingewachsene Häuserruinen erinnern an Theaterkulissen… doch für welches Stück? Lediglich die Kriegerdenkmäler gemahnen an die ehemaligen Gefechte. Doch wirken diese Gedenkstätten ebenso trist, fast entrückt und wie aus der Zeit gefallen. Aus den Schlachtfeldern sind wieder Äcker und Wiesen geworden.
Es ist ein schmaler Grat, den Tom Licht hier mit seiner Kamera beschreitet. Schnell kann ein so persönlich aufgeladene Geschichte ins Sentimentale oder, auf der anderen Seite, ins Eintönige abrutschen. Es erfordert eine bestimmte Form der Sensibilität, sich auf Fotoarbeiten dieser Art einzulassen.
Das Buch »Vater, Sohn und der Krieg« ist im Kehrer Verlag erschienen. Preis: 34,90 EUR.
Tom Licht ist einer Finalisten des PORTRAITS – HELLERAU PHOTOGRAPHY AWARD 2018. Die Serie »Vater, Sohn und der Krieg« ist ab 8. Februar 2018 im Festspielhaus Hellerau zu sehen.