Schönheit, Identität und Veränderung
Die Hautkrankheit Vitiligo wirft unweigerlich Fragen nach Schönheit, Identität und Veränderung auf. Man fragt sich, was Schönheit in der heutigen Gesellschaft bedeutet und wie weit wir im Namen der Schönheit gehen können. Die italienische Fotografin Rosa Mariniello hat mit ihrer gleichnamigen Fotoserie den 1. Preis bei den PORTRAITS – Hellerau Photography Awards 2020 gewonnen.
Rosa Mariniello, was war Ihre Inspirationsquelle für »Vitiligo«?
Die emotionalen Auswirkungen einer Stigmatisierung des Aussehens können verheerend sein – geringes Selbstwertgefühl, Angstzustände oder sogar Depressionen.
Mein Interesse an Vitiligo hat seine Wurzeln in meiner Kindheit, da einige Mitglieder meiner Familie in Italien darunter leiden. Soweit wir wissen, hatten indes seit Generationen nur männliche Mitglieder Vitiligo. Im Jahr 2011 jedoch erschien ein Mal an den Lippen meiner damals dreijährigen Nichte. Da sie weiblich ist, fing ich an, Vitiligo anders zu betrachten. Ich merkte, dass die Krankheit, obwohl sie die körperliche Gesundheit nicht im Mindesten beeinträchtigt, trotzdem lebensverändernd sein kann: aufgrund sozialer Stigmatisierung und damit verbundener Vorurteile nämlich. Und genau diese Erkenntnis hat mich dazu gebracht, den Einfluss von Vitiligo auf die Lebensqualität der Betroffenen fotografisch zu untersuchen.
Dieses Projekt wurde von meiner Inspiration durch die Malerei beeinflusst.
Jetzt, nachdem ich die Arbeit beendet habe, kann ich sagen, dass ich mich geirrt hatte. Männer mit Vitiligo haben die gleichen sozialen Leidenserfahrungen wie Frauen, oder noch größere. Ich hatte größere Schwierigkeiten, Männer davon zu überzeugen, bei dem Projekt mitzumachen, als Frauen; vielleicht, weil sie eher innerlich leiden und ihren Schmerz für sich behalten.
Welche Künstler inspirieren dich? Hast du einen Favoriten?
Irving Penn, Helmut Newton, Mario Testino, Giovanni Gastel und Erwin Olaf sind meine Lieblingsporträtfotografen, aber dieses Projekt wurde hauptsächlich von meiner tieferen Inspiration für die Malerei beeinflusst. Von Caravaggio nach Goya bis Botero. Ich habe versucht, die Schönheit der Körper der Menschen durch das natürliche Tageslicht in ihren Häusern auszudrücken und zu verbessern, ohne ihr natürliches Aussehen zu verändern und sie viel posieren zu lassen.
Wie kam es zur Serie »VITILIGO«?
Für dieses Projekt habe ich Menschen in fünf Ländern getroffen und fotografiert: Indien, China, Dänemark, Kuba und – natürlich – Italien. Indien, China und Dänemark sind die drei Länder mit der höchsten Inzidenz von Vitiligo (in der indischen Region Gujarat sind es 9% der Bevölkerung). Kuba hingegen verdient Aufmerksamkeit aufgrund einer Behandlung auf der Basis von menschlichem Plazentaextrakt. Dieses Produkt wurde von einer Spezialklinik in Havanna entdeckt und entwickelt. Es gilt als sehr effektiv und kostet kaum mehr als ein Schokoriegel.
Es war sehr schwer, weil ich nach Vitiligo-Patienten gesucht habe, einfach indem ich an stark frequentierten Orten nach Empfehlungen gefragt habe. Ich fing in Kuba an und musste dafür Spanisch lernen. Dann ging ich nach Indien; in Ahmedabad fand ich leicht Vitiligo-Patienten, aber ich wollte Gujarat bereisen, und dort vertraute ich auf einen Assistenten, der mir half, Vitiligo-Patienten zu finden.
In China habe ich ähnlich gearbeitet, aber auch soziale Medien genutzt, um Leute zu finden. Ich musste gegen das anfängliche Misstrauen der Menschen arbeiten und machte deshalb Fotos nur in Hotelzimmern. Nur zwei Leute luden mich ein, sie in ihrem Haus zu besuchen.
Ich wollte den Menschen mit meinen Porträts das Selbstwertgefühl zurückgeben.
In Italien und Dänemark bin ich landauf, landab gefahren, um verfügbare Leute zu erreichen. Ich habe versucht, Leute zu finden, die im Sommer an die Strände gingen, aber so funktionierte es nicht. Danach habe ich es über Mundpropaganda versucht, aber es hat keine Ergebnisse gebracht. Immerhin, über die sozialen Medien haben viele Leute geantwortet, um an meinem Projekt teilzunehmen.
Wie sind Sie auf den PORTRAITS – Hellerau Photography Award aufmerksam geworden?
Ich wusste über den Portraits Hellerau Award von Picter Bescheid. Das Jahresthema „Würde“ war der Schlüssel, der mich bewog, am Wettbewerb teilzunehmen. Ich habe mir immer gewünscht, dass meine Porträts den Menschen das Selbstwertgefühl zurückgeben könnten, das sie möglicherweise durch Vitiligo verloren haben.
Arbeiten Sie gerade an einem Projekt oder haben Sie Pläne für ein nächstes? Worum geht es?
Ich arbeite derzeit an zwei langfristigen Projekten, Lucania, in Süditalien und forsche an einem Projekt über ökologische Nachhaltigkeit.
Rosa Mariniello, Architektin aus Neapel, hat seit 2006 als Setfotografin für viele italienische Filmproduktionen gearbeitet. Von 2011 bis 2015 arbeitete sie mit der Agentur Eventi-Italiani und dem Drome Magazine zusammen. Seit 2011 ist sie Mitglied der European News Agency & G.N.S.PRESS. Die Fotografin hat in den letzten drei Jahren an mehreren Projekten gearbeitet: »Urban Trip(le)s«, »Lucania«, »The Flight«, »Urban Graffiti« und »Vitiligo«. 2016 wurde sie von Imago Mundi Luciano Benetton Collection unter 200 Künstlern aus Kampanien für „Doni“ ausgewählt. 2019 war sie eine der Autoren des Buches »Zurück in die Vergangenheit«.