„Fotografie ist glücklicher Zufall“

„Fotografie ist glücklicher Zufall“

Jacques Schumacher (Foto: Michael Holz)

Lieber Jacques Schumacher, beginnen wir mit einem Geständnis: ich bin gar nicht ‚vom Fach‘, sondern Musikwissenschaftler. Aber Ihre Fotografien machen es einem wirklich einfach, sofort Zugang zu finden. Sie schließen mir als Betrachter ganz verschiedene Welten auf.

Das freut mich, dass Sie das sagen. Vielleicht liegt es daran: ich hatte Grafik studiert, wurde in Bielefeld dann auch gleich Lehrer; und ich bin auch nicht der Fotograf, der komplizierte Serien macht. Wenn andere eine Serie machen, mache ich ein Bild, wo die Serie drin ist. Ich mache einfach Bilder, die mir einfallen. Die Leute vom STERN riefen zum Beispiel oft an: „Wir haben Landwirtschaft als Thema, aber wir haben keine richtige Idee. Mach mal was!“ Das wäre eigentlich Arbeit eines Art Directors gewesen, aber ich habe dann die Ideen einfach selbst entwickelt. 

Waren Sie also ganz frei in der Entwicklung der Konzepte und Bildideen? Das hören heutige kommerzielle Fotografen sicher mit Neid.

Nicht unbedingt, also einfacher war es jedenfalls nicht. Ein Art Director hat mal gesagt: wenn das Konzept sauber ist, nimmt er einen Fotografen, der das perfekt macht. Und ansonsten kommt er eben zu mir… Als ich bei der Werbeagentur Pütz in Köln arbeitete, sagte deren Kontakterin zu mir, ich muss zum Kunden, habe aber nix im Köcher. Da habe ich einfach sieben Skizzen gemacht, und sie hat die Anzeigenserie verkauft. Der Chef war völlig fertig. „Das kann doch nicht sein, dass Jacques irgendwelche Zeichnungen macht und wir das verkaufen…“ Ein halbes Jahr später rief er mich an und sagte, Jacques, jetzt brauche ich wieder mal deine hilflosen Zeichnungen!

Das allererste Bild, das von Ihnen in der Deutschen Fotothek zu finden ist, ist ein ganz klassisches, streng arrangiertes Stilleben in Farbe, 1960 entstanden als Auftragsarbeit für die Deutsche Grammophon. Wissen Sie, ob es je Verwendung als Plattencover gefunden hat? 

Plattencover, 1960 (Quelle für alle abgebildeten Motive: Jacques Schumacher, Archiv der Fotografen, Deutsche Fotothek)

Sicherlich, die wurden immer benutzt. Die DG hat damals zum mir gesagt, sie brauchen für den Klassikbereich ein paar Bilder. Neben meinem Atelier in Hamburg war ein Geigenladen, da habe ich mir die Teile ausgeliehen, als Grafiker arrangiert und in Farbe fotografiert. Wenn man früher kommerziell fotografierte, nahm man Diamaterial. Die Kunden bekamen sämtliche Dias, sie hatten das Copyright und konnten damit machen, was sie wollten. Schallplattentüten habe ich damals jede Menge fotografiert, die wurden sehr gut bezahlt. Für mich wurde das ein richtiger Beruf, wie der meines Vaters.

In Deutschland hatte sich damals gerade der BFF, der „Bund Freier Fotografen“ gegründet, in dem Sie 1985 Vorstand wurden und seit 2007 Ehrenmitglied sind.

Mit dem BFF war das ähnlich wie mit dem früher entstandenen „Art Directors Club New York“: man wollte unabhängig werden von deutschen Handwerksregeln und der Meisterprüfung. Der BFF ermöglichte den Künstlerstatus, der ohne diese rechtlichen Vorgaben auskam. Allerdings musste man sich beim BFF mit Fotos bewerben. Nur die wirklich erstklassigen Fotografen wurden in diesem Verband aufgenommen. Möglich war das auch nur für Fotojournalisten und Werbefotografen. Man durfte damit kein Fotogeschäft eröffnen!

In Ihren Bildern gibt es ja oft einen unerwarteten ‚Twist‘, eine oft etwas dadaistische Pointe

»Herr Schröder«, 2016

Gut findet das ja nur jemand, der ähnlich denkt… wie zum Beispiel die Grafiker vom SPIEGEL. Die Titel haben sie mir netterweise immer bezahlt, ob sie dann gedruckt wurden oder nicht. Bei STERN war es ähnlich: die Chefredaktion bestand immer auf vier bis fünf verschiedene Titelvorschläge. Wenn der Artdirector mich am Montag anrief, wusste ich schon, der brauchte dringend den fünften Vorschlag. Und das Gute daran: dieser Vorschlag wurde meist genommen, denn der damalige Chefredakteur Henri Nannen liebte eigentlich immer nur das Allerneuste. 

Auch die ersten erotischen Frauenbilder von Ihnen datieren in diese Zeit, oder? Jüngst haben Sie für die Deutsche Fotothek von ‚Amanda‘ (1979) ja eine signierte Vorzugsausgabe aufgelegt.

Ja, ich habe damals für Playboy Testfotos auf Schwarzweiß-Film von Mädchen gemacht, die sich als Playmates bewarben, auch ‚Amanda‘. Die Mädchen durften bei mir so posen, wie sie wollten. Um die fertigen Bilder interessanter zu gestalten, hab ich sie dann blau getont, inspiriert von den erotischen Filmen der damaligen Zeit, den sogenannten „Blue Movies“.

»Amanda«, 1979

Der Deutschen Fotothek haben Sie in den letzten Monaten diese „Blauen Bilder“, aber eben auch Hunderte andere Abzüge übergeben: hier finden sich von Ihnen die meisten Bilder aus den Achtzigern und dann wieder aus den 2010er Jahren. Nach der Wende findet sich zehn Jahre lang kaum ein Foto. Was war das künstlerisch für Sie für eine Zeit?

Nach der Wende habe ich meine berufliche Erfolgssträhne kommerziell ausgenutzt und ordentlich Geld verdient. Aber braucht die Fotothek meine Plakate für Bier und Zigarette?

Verstehe, das leuchtet ein. Viele Ihrer späteren Werke scheinen dann ganz direkt Alltagssituationen entsprungen zu sein, fixe Ideen, und wieder mit einer Ecke Humor… Ich denke etwa an „Annahme verweigert“ aus dem Frühjahr 2021. 

Das sind so Bilder, die ich für mich persönlich mache. Zum Beispiel : Ich nehme öfter für unsere Nachbarn Pakete an, die nicht zuhause sind. Und dann liegen die rum und bringen mich auf eine Idee wie zum Beispiel das Bild „Annahme verweigert“. Ich überlege nicht lange, ich mache einfach. Es muss schnell gehen. Und das ist ein natürlicher Prozess: Fotografie ist glücklicher Zufall. Das sehen Sie, wenn Sie mit dem Handy fotografieren: plötzlich haben Sie ein ganz tolles Bild. 

»Annahme verweigert«, 2021

Ich musste kürzlich an Sie denken, als Karl Lagerfelds Wohnung in Monaco aufgelöst und das Interieur bei Sotheby’s landete. In dieser Wohnung haben Sie eine Ihrer bekanntesten Bilderserien gemacht!

Karl Lagerfeld hatte ich schon für Frauenzeitungen fotografiert, 1970 auch mal für STERN. Weil er aus Hamburg kam, konnten wir irgendwie gut miteinander 1982 arbeitete ich für eine kleines, ganz neues Magazin „MODE UND WOHNEN“, wo meine Frau Redakteurin war.

Karl Lagerfeld, 1983

In der Wohnung von Karl Lagerfeld in Monte Carlo haben wir seine ikonischen Memphis Möbel fotografiert. Die Fotos sind als Dokument ihrer Zeit inzwischen in vielen Museen. So hat Vitra zum Beispiel die Fotos gekauft für das Buch »Home Stories. 100 Jahre. 20 visionäre Interieurs«.*

Und nun wird dieser Tage das ganze Lagerfeldsche Interieur versteigert. Von den Handschuhen bis zum Sofa.

Das hätte ihm gut gefallen. Er hat immer gesagt, man soll aus seinem Leben kein Drama machen. Diese Wohnung in Monte Carlo war in einem Hochhaus und hatte ein ziemlich schlimmes Badezimmer in blau und gold. Ich fragte, was wird denn hiermit? Er sagte, ich verkauf die Wohnung einfach wieder und kriege dann mehr Geld, weil „von Karl“….

Kommen wir noch einmal auf Dresden, auf die Deutsche Fotothek zurück, und auf die kleine Ausstellung der »Lounge Affairs«. Hier sind unter dem Titel „FRECH + FREI“ momentan verschiedene STERN-Kalendermotive und Fotos vor allem aus den siebziger Jahren ausgestellt, die Sie für MODE UND WOHNEN, für CULT oder das Playboy-Imitat „LUI“ gemacht haben. Hier ist ein ganz anderer Jacques Schumacher zu sehen, den wir irgendwie gar nicht mit den hintergründigen Schwarzweißfotos in Verbindung bringen. Es wäre eigentlich toll, in der »Lounge Affairs«-Reihe irgendwann einmal eine zweite, komplett konträre Ausstellung von Ihnen zu hängen.

»Bernd und Hilla«, 2003

Ich erzähle Ihnen mal, wie das kam. Der Leiter der Fotothek, Jens Bove, sagte der Ausstellungskuratorin Simone Fleischer, sie solle mal was machen über meine neue Webseite. Da ging sie erfreulicherweise nicht nur ins Internet, sondern auch ins Archiv und hat in Kästen geguckt, wo die Laminate lagen. Früher hat man zu den Werbeagenturen eingeschweißte Bilder hingeschickt. Und ausgerechnet die hat sie ausgesucht! So ist es eine gute Ausstellung geworden, die selbst mich überraschte.

Wie groß wird das Jacques-Schumacher-Archiv bei der Fotothek, das momentan schon über dreihundert Prints enthält, eigentlich noch werden?

Na, ich hab‘ noch jede Menge analoger Bilder, die kommen demnächst nach Dresden. Das Archiv wächst und wächst!

Ich bin sehr gespannt und bedanke mich f…

Ach, ich muss Ihnen noch was erzählen zum Thema Musik. Es war in Frankfurt in der Abflughalle des Flughafen, etwa 1955. Ich sass da allein. Da kommt einer auf mich zu und fragt, ob ich Musik höre. Ich kannte den Mann: Leonard Bernstein! Was ich denn so höre, fragt er mich. Ich sagte: hauptsächlich Jazz… Ach ja, er sei ja auch Pianist, und „I play leidlich piano“. Wie denn? „Wie der frühe George Shearing! Sie kommen aus Deutschland, da gibt es doch viel Operette. Gerade bin ich dabei, eine Jazzoperette zu machen!“ Na, das war ‚West Side Story‘. Wie ich denn Musik höre?, fragte Bernstein dann. Ich sagte, normale Leute sehen beim Musikhören Wolken vor sich, Wälder, Säulen; bei mir ist das aber anders. Wenn ich Musik höre, springe ich in das Stück rein und hüpfe mit, von Ton zu Ton! Drei Jahre später sehe ich eine Sendung für jugendliche Musikhörer. Ich höre da zu und Bernstein erzählt: viele Leute sehen Wolken, wenn sie Musik hören, Wälder oder Säulen. Der richtige Musiker aber springt ins Musikstück und hüpft von Ton zu Ton… 


Ausstellungen, Publikationen, neue Erwerbungen und Schenkungen, Aktivitäten im „Archiv der Fotografen“ und in der Fotowerkstatt – die neue Veranstaltungsreihe FOTOTHEK.spotlight der Deutschen Fotothek soll einen Einblick in eines der größten deutschen Fotoarchive geben. Vor Ort in der SLUB, zu Gast bei Partnerinstitutionen und im Livestream laden die Organisatoren in lockerer Folge zum Austausch über aktuelle Themen und Fragen rund um die Fotografie ein. Den Auftakt bildete ein Gespräch zur aktuellen Ausstellung mit dem Titel »Blicke – Körper – Objekte. Gespräch zur Fotoausstellung „Jacques Schumacher – FRECH + FREI“«. Mit Simone Fleischer (Kuratorin der Ausstellung) und René Grodde (Fotograf an der Deutschen Fotothek), moderiert von Agnes Matthias (Kuratorin Archiv der Fotografen an der Deutschen Fotothek).

Den Katalog zur Ausstellung »FRECH + FREI« gibt’s für 10 EUR im Shop von »Fotografie in Dresden« – oder mit einer Vorzugsausgabe von »Amanda« für 150 EUR.

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Martin Morgenstern

Martin Morgenstern (*1979) studierte Musikwissenschaften in Weimar und London, arbeitete als Korrespondent und Fotograf u.a. für ddp und dpa und gründete 2007 die Kunstagentur Dresden. Im Verlag der Agentur erschienen Fotobücher und Kataloge u.a. von Stefan Krauth, Frank Höhler, Luc Saalfeld, Jacques Schumacher und Stefanie Minzenmay. 2019 wurde er als ordentliches Mitglied in die Deutsche Gesellschaft für Photographie berufen und war von 2020 bis 2022 Vorstandsvorsitzender des Forums für zeitgenössische Fotografie Dresden. 2021 nahm die Deutsche Fotothek einige seiner Werke in das »Archiv der Fotografen« auf.