Spuren der Unterdrückung
Die Galerie Kunsthaus Raskolnikow und die Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden zeigen vom 20. April bis 25. Juni 2021 die Ausstellung »Ästhetik der Überwachung. Artefakte der politischen Kontrolle im fotografischen Bild«. Im Rahmen der Doppelausstellung werden Fotoserien von Valentyn Odnoviun (Vilnius) und Wolfram Kastl (Berlin) vorgestellt. Die Fotografien begleitet eine Auswahl musealer Objekte aus dem Sammlungsarchiv der Dresdner Gedenkstätte.
Die Künstler nähern sich mit den Mitteln der Fotografie dem Überwachungsapparat ehemaliger Ostblock-Staaten. Die Präsentation der Fotoserien erzeugt wirkungsvolle Kontraste: Den dunklen sphärischen Bildern der von Innen beleuchteten Türspione aus Gefängnissen (Odnoviun) stehen helle, sachliche Aufnahmen vom Instrumentenkasten der Stasi (Kastl) gegenüber. Die Fotoserien zeigen keine explizite Gewalt. Es sind Spuren und Artefakte der Unterdrückung, anhand deren die Künstler ihre Analysen führen. Zwischen den Aufnahmen und der tatsächlichen Verwendung der abgebildeten Gegenstände liegt eine beträchtliche zeitliche Distanz: Odnoviun und Kastl fotografieren ihre Objekte in den Museen und Gedenkorten. Diese Distanz und die Loslösung vom ursprünglichen Kontext schaffen einen fast laborähnlichen Rahmen, in dem die Fotografen präzise und zielgerichtet arbeiten. Nichts auf diesen Bildern scheint dem Zufall überlassen zu sein. Auf den Makro-Stillleben der Fotoserie »Surveillance« von Valentyn Odnoviun sind Türspione zu sehen. Mit ihnen waren Gefängniszellen in der ehemaligen DDR, in der Volksrepublik Polen und in den Ländern der Sowjetunion ausgestattet. In diesen Zellen wurden vor 1990 sowohl die tatsächlichen als auch die vermeintlichen Feinde des Kommunismus vom Überwachungsapparat der Regime gefangen gehalten, in manchen gefoltert und getötet. Der Fotograf und mit ihm der Betrachter blicken aus dem Gefängnisgang in die Zellen hinein. Aus dieser Blickrichtung überwachten die Funktionäre der Stasi, der UB, der NKWD – die Täter – ihre Opfer. Das Objektiv der Kamera ist genauso nah an der Tür wie das Auge, das in die Zelle schauen will. Dennoch bleibt der Raum der Zelle für den Betrachter des Bildes nicht sichtbar. Es ist der wesentliche Unterschied zwischen dem Blick in eine tatsächliche Zelle und dem Betrachten einer Fotografie, der in dieser Arbeit deutlich wird. Der Fotograf bestimmt, was der Betrachter seiner Bilder auf ihnen erkennen kann. Odnoviun richtet seine Kamera auf die Gucklöcher und fokussiert sein Objektiv auf deren Linsen. Er lässt damit einen Gegenstand, der für das Beobachten konstruiert wurde, zu einem Objekt werden. Seine gläserne Materialität verdeckt das, was er als Guckloch eigentlich zeigen sollte. Der Fotograf reproduziert die runden Türspione mit höchster Präzision und stark vergrößert. Das Tageslicht der Zellen erhellt die Linsen von hinten. Die Dunkelheit der Gefängniskorridore lässt den Rahmen der Gucklöcher und alles andere in tiefschwarzer Vignette verschwinden. Im Laufe der Zeit trübten sich die Glasflächen, sie verfärbten sich und bekamen Kratzer. Dank dieser Strukturen leuchten die runden, transparenten Oberflächen auf Odnovuins Fotografien als wären sie Himmelskörper. Damit lässt der Künstler dem Betrachter Raum für eigene Interpretationen: der abgebildeten Objekte, der Räume, die sie verdecken, und der Taten, die hinter ihnen einmal geschahen.
Zum Genre der Stillleben-Fotografie gehört auch die Fotoserie »Staatssicherheit« von Wolfram Kastl. Auf seinen Bildern sind diverse Objekte zu sehen. Die fotografierten Gegenstände erscheinen zunächst banal: eine Tasche, eine Armbanduhr, ein Regenschirm. Einige, wie zum Beispiel die künstlichen Schnurrbärte, erinnern vielleicht an die Scherzartikel in einem Supermarkt. Bei manchen von ihnen ist es nicht möglich, ihre Funktion zu erkennen. Erst wenn der Betrachter über den Hintergrund dieser Dinge informiert ist, tauchen innere Bilder von dem auf, was sich hinter ihnen verbirgt – von dem politischen Terror. Es handelt sich um Spionagewerkzeuge, die von der Staatssicherheit in der DDR zur Überwachung der Bevölkerung verwendet wurden. Es sind allesamt Werkzeuge, die mit Hilfe damaliger Technik konzipiert, gestaltet und hergestellt wurden. Sie sollten ihren Zweck erfüllen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. So zeigt ein Foto eine Spionagekamera, die so klein ist, dass sie sich hinter einem Mantelknopf verstecken lässt. Auf weiteren Bildern sind Glasgefäße abgebildet, die kleine Gegenstände, wie z. B. Stofffetzen oder -streifen enthalten. Die Bilder unterscheiden sich von den anderen. Es sind Geruchsproben, die Stasi-Funktionäre von den überwachten Personen nahmen. Sie wurden in hermetisch verschlossenen Gläsern aufbewahrt und sind nicht anonym. Mit ihnen erreicht der Fotograf den Höhepunkt in der Wirkung seiner Bilder und stellt zugleich eine emotionale Verbindung zwischen dem Betrachter und den Opfern her. Es sind Methoden der Strafverfolgung, die gegen unschuldige Bürger mit grausamer Akribie eingesetzt wurden. In ihrer Zusammenstellung bilden die Fotografien von Kastl einen typologischen Index der Werkzeuge, die dem totalitären Staat zur Kontrolle und Unterdrückung seiner Bürger dienten. Es sind direkte, präzise, gleichmäßig beleuchtete und emotionslose Fotografien. Diese Bildsprache und die fotografischen Methoden ähneln paradoxerweise in ihrer Akribie denen des Überwachungsapparats des Regimes.
VALENTYN ODNOVIUN (geb. 1987 in der Ukraine) ist Absolvent der Kunstakademie Vilnius, Fakultät für Fotografie und Medienkunst (MA) sowie Theorie und Geschichte der Künste (MA). Er studierte an den Kunstakademien in Polen und Deutschland. Derzeit schreibt er seine Doktorarbeit über Theorie und Geschichte der Künste am litauischen Kulturforschungsinstitut. Er wurde auf Festivals in der ganzen Welt ausgezeichnet, darunter in Neuseeland, den USA und vielen anderen Ländern Europas. Odnoviun lebt und arbeitet in Litauen.
WOLFRAM KASTL (geb. 1983 in Karlsruhe) absolvierte Fotografie an der Fachhochschule München und an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (MA). Seinen Arbeitsschwerpunkt als Fotokünstler bilden soziopolitische Themen. Er arbeitet als Bildredakteur, zwischen 2015 und 2019 bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) und seit 2019 bei Greenpeace e. V. Kastl lebt und arbeitet in Berlin.
► Ausstellungsdauer: 20.4.2021 – 25.6.2021
► 20.5.2021, 17:00 Kuratorenführung im Kunsthaus Raskolnikow und in der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden
► 27.5.2021, 17:00 Midissage Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden
► 28.5.2021, 19:30 Midissage Kunsthaus Raskolnikow
(Midissagen mit Anwesenheit der Künstler)
► 10.6.2021, 17:00 Kuratorenführung im Kunsthaus Raskolnikow und in der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden
► 25.6.2021 Ausstellungsende
*Alle Termine stehen zurzeit im Zusammenhang mit der Pandemie-Lage unter Vorbehalt.