Ambitionierter Start
Jens Bove, der erste Band der neuen Buchreihe „archiv der fotografen“ ist dem Fotografen Richard Peter senior gewidmet. Was ist diese neue Buchreihe, eine weitere Aufgabe in Ihrer Arbeitsbeschreibung – oder eine Art neues Lieblingskind?
Beides! Fotografennachlässe gibt es ja schon länger in der Bibliothek. Sie werden nicht systematisch gesammelt, flattern aber immer wieder ins Haus. Manchmal stecken wirklich skurrile Geschichten dahinter: etwa die von Fritz Eschen (1900-1964), einen Westberliner Porträtfotografen. Eschens Sohn suchte um 1970 eine Bleibe für den fotografischen Nachlass seines Vaters. In der gesamten BRD fand sich kein Archiv, das Interesse gehabt hätte, den Nachlass zu übernehmen und öffentlich zugänglich zu machen. So kam er dann Anfang der siebziger Jahre in die DDR. Dasselbe Schicksal erfuhr der Nachlass von Abraham Pisarek Anfang der Achtziger. An der Problematik hat sich bis heute nichts geändert: wenn ein Fotograf versucht, seinen Nachlass an ein Archiv zu geben, hat er schlechte Karten, es sei denn, er hieße Helmut Newton. Fotografen von Newtons Kaliber gibt es vielleicht zwei Dutzend; alle anderen müssen suchen.
Es gibt also keinen üblichen oder empfohlenen Weg für fotografische Altmeister, wenn sie ihr künstlerisches Erbe abgeben wollen?
Nein. Natürlich gibt es immer wieder Initiativen, etwa die Stiftung Photographie. Ansonsten zeigt der Bund auf die Länder, und die sagen, sie können es nicht leisten. So passiert am Ende nichts. Irgendwann kam mir die Idee: wir haben doch mit der „Deutschen Fotothek“ einen passenden Namen; wir haben auch interessante Nachlässe und die nötige Infrastruktur. Warum fangen wir nicht einfach an? Wir sind ein dicker Knoten im Netz. Die Stiftung FC Gundlach ist unser wichtigster Partner – da öffnet allein der Name viele Türen.
So haben Sie sich also 2012 das „archiv der fotografen“ ausgedacht.
Ja – und heute ist sie das Hauptbetätigungsfeld der Deutschen Fotothek. Es besteht aus drei Säulen: erstens nehmen wir Fotografenarchive auf, wenn sie in unsere Sammlung passen und nationale Bedeutung haben. Die Fotografie kann künstlerisch oder dokumentarisch sein, oder ein bestimmtes Genre bedienen. Oder sie ist „sachsenwichtig“. Zweitens interessieren uns Nachlässe, die bislang unsichtbar waren, irgendwo liegen: die wollen wir zeigen. Beispielsweise nenne ich das Stadtmuseum München. Dort liegen unter anderem die Aufnahmen von Herbert List. Diese kann man über die Fotothek recherchieren. Drittens ist unsere Aufgabe, zu beraten und zu vermitteln. Nicht jeden Nachlass können wir aufnehmen, aber wir gucken dann, wo es besser passen könnte. Wenn Sie ein Pressefotograf aus Hamburg sind: welche Möglichkeiten hätten Sie da? An wen könnten Sie sich wenden, die Landesbildstelle, das Stadtmuseum, wo könnten Sie unterschlüpfen?
Es geht also nicht nur darum, zu sammeln; Sie wollen die Nachlässe auch zeigen, aktivieren, ins Gespräch bringen.
Genau. Wir füttern unsere Bilddatenbank, konzipieren Ausstellungen und machen Bildbände.
Ihre neue Buchreihe haben Sie Ende 2017 mit „Peri“, also mit Richard Peter sen., gestartet. Warum ist es gerade dieser Fotograf geworden?
Richard Peter war prägend nicht nur für eine ganze Generation von Fotografen. Und bei ihm hatten wir das Glück, dass es ein Drittmittelprojekt der Kulturstiftung des Bundes und der Länder gab, um Nachlässe komplett zu digitalisieren. Weitere Namen sind da zu nennen: Roger Rössing, Abraham Pisarek, Hildegard Jaeckel. Ausgewählt haben wir diese Nachlässe aus konservatorischen Gründen: sie enthalten ziemlich viele Zellulosenegative, die sich irgendwann einfach auflösen.
Wie ist sein Nachlass eigentlich in die Fotothek gelangt?
Der Bestand ist von der Witwe in den frühen Achtzigern angekauft worden.
Auf welche Vorarbeiten konnten Sie sich stützen?
Auf eine Dissertation zu »Eine Kamera klagt an«, die konzentriert sich im Grunde auf die berühmten Trümmeraufnahmen. Und zu Arbeiterfotografie hat mein Kollege Wolfgang Hesse gearbeitet. In seiner Frühzeit war Richard Peter ja vor allem Arbeiterfotograf. Da haben wir auch gleich das Problem: diese Arbeiten sind komplett im Krieg verlorengegangen. Deswegen kommt dieser Komplex in dem Buch nicht vor. Seine Fotos aus Norwegen, aus Südamerike: da ist einfach nichts mehr da außer irgendwo gedruckten Reportagen. Aber keine Negative, nur ein paar Dutzend Positive, überwiegend Nachtaufnahmen von Dresden, das hat alles zufällig überlebt, weil es an verschiedenen Orten gelagert war, gibt aber in der Summe kein rundes Bild.
Andererseits ist es eindeutig, und das geht auch aus seinen Aufzeichnungen hervor: die Nachtaufnahmen waren ein zentrales Thema dieser Zeit.
Ja, und er zeigt „Das schöne Dresden“ vor dem Krieg. Einige der Bilder sind ja bekannt, weil sie den Vorspann zu „Eine Kamera klagt an“ gebildet haben. 1961 erscheint dann das „Dresdner Notturno“, da sind auch paar Vorkriegsaufnahmen drin. Aber es gibt noch viel mehr; die waren bloß in der frühen DDR nicht en vogue. Das ist wahrscheinlich sogar der Grund gewesen, warum die „Kamera“ nach kurzer Zeit nicht mehr gewünscht war. Man kann daraus schließen, dass Peter sich an zeittypischen Forderungen orientiert hat. Er zeigt einfach die Erfolge das Aufbaus – wobei er übrigens seit 1949 aus der SED ausgeschlossen war. Er hatte damals versucht, über Korruption zu recherchieren. In der Folgezeit stellten übrigens Preisausschreiben eine wichtige Geldquelle für ihn dar. Zu der Zeit lebte er in relativ prekären Verhältnissen.
Eine banale Frage, während wir durch das Buch blättern: diese Abbildung von der „Plauenschen Gasse“ hier (S. …), ist etwas unscharf, während die Fotothek eigentlich einen knackscharfen Abzug des Motivs besitzt. Gibt es dafür einen Grund?
Warten Sie mal, da setze ich meine andere Brille auf. Tatsächlich!
Aber noch einmal zurück: Der Ansatz für das Buch war, die Trümmerfotos sind berühmt, die Vorkriegsaufnahmen sind in Breite publiziert, die Nachkriegsmotive vergleichsweise unbekannt. Peter hat ja Bildbände produziert, Bautzen, Rügen, Freiberg. Wir haben nun überlegt: publizieren wir wirklich das Gesamtwerk? Aber das passte irgendwie nicht, es gab kein wirklich rundes Bild. Also die Entscheidung: wir beschränken uns auf Dresden. Und dann fragte ich mich: thematisch oder chronologisch? Bei den Voraussetzungen gab es eigentlich nur die Chance, chronologisch zu arbeiten. Also einige unbekannte Trümmeraufnahmen, danach in groben chronologischen Blöcken. Einer davon quasi „Dresden ist wieder schön“, also: der Altmarkt ist fertig, erste Wiederaufbauerfolge werden sichtbar. Innerhalb der groben Blöcke habe ich versucht, möglichst interessantere, nicht alltägliche Blickwinkel zu finden.
Ein wunderbarer Einblick in das Werk von Richard Peter sen. ist es jedenfalls geworden. Wenn wir nun weiterschauen – was ist bei Ihnen in der Pipeline?
Franz Grasser ist der nächste. Von ihm haben wir einen komplett digitalisierten Bestand, alles Kleinbilddias, ein Drittel davon Color-Dias von 1937-1939. Da kam der Agfa Color gerade erst auf den Markt. Grasser ist damit um die Welt gereist. Er hatte seine Fotografenlehre in St. Moritz gemacht, in dem kleinen beschaulichen Dorf mit Jetset. Vielleicht hat ihn das damals auf die Idee gebracht, dass er in die große weite Welt möchte. Die Dias sind zu einem guten Teil nicht beschriftet. Definitiv wissen wir aber, das er im Sommer 1936 bei der HH Süd anheuert und seine erste Norwegenkreuzfahrt macht. Diese Sachen sind noch schwarzweiß und werden im Buch nicht vorkommen… Das war eine KdF Fahrt, die hat er fünf Mal hintereinander gemacht. Von Bucht zu Bucht fuhr man, aus Devisengründen verließen die Passagiere das Schiff nicht… Dann hat er es nach zwei Monaten geschafft, eine Südamerikapassage nach Buenos Aires zu bekommen. Und von da an ist er bis zum Kriegsausbruch auf die verschiedensten Kreuzfahrtschiffe: Kap Arkona, Milwaukee, Monterosa, Reliance. Da hat er die üblichen Touren gemacht: Mittelmeerfahrten zu den „atlantischen Inseln“, aber auch eine Reise den Amazonas hinauf. Afrika-Brasilreise nannte sich das. Und das alles in Farbe!
Das Schwierige an Grasser ist: das sieht alles sehr hübsch aus, die Stewarts, die hübschen Damen. Gleichzeitig erhebt die Crew den rechten Arm zur Abfahrt. Wir sehen ideologisierten Massentourismus, aber auch tatsächliche Weltoffenheit. Ein interessanter Kontrast.
Letzte Frage: wenn ich selbst als Fotograf gearbeitet habe mein Leben lang – sollte ich meinen künstlerischen Vorlass dem „archiv der fotografen“ anbieten?
Nun, wir können natürlich nicht alles nehmen. Aber anbieten können Sie uns Ihre Werke ganz bestimmt.
Richard Peter Senior – Fotografie in Dresden von 1926 bis 1976.
Herausgegeben von Jens Bove für die Deutsche Fotothek/Sächsische Landesbibliothek –
Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), Reihe „archiv der fotografen“, Band. 1
208 Seiten, zahlreiche Abbildungen, gebunden. Format 24 x 27 cm
ISBN 978-3-86530-237-3, 29,95 €